12.10.2023
„In Deutschland gibt es derzeit keine Regularien die Suizidassistenz betreffend. Das heißt es droht auch keine Strafe und das ist bemerkenswert und zugleich beängstigend“, erklärte Dr. Rainer Schäfer, ehemaliger Chefarzt der Anästhesiologie und operativen Intensivmedizin und Leiter der Palliativstationen am Julius-Spital Würzburg.
Am Fachvortrag im Caritas-Krankenhaus zum Thema „Assistierter Suizid“ nahmen über 100 Gäste teil. Dr. Schäfer beleuchtete die Gesetzgebung in verschiedenen Ländern, die assistierten Suizid zulassen, darunter der Bundestaat Oregon in den USA. In den Niederlanden ist seit 2002 zusätzlich die aktive Sterbehilfe möglich. In Oregon sei die aktive Sterbehilfe mit einem Strafmaß von bis zu 14 Jahren Haft belegt. Der assistierte Suizid sei aber durch den sogenannten „Death With Dignity Act“ gesetzlich unter bestimmten Bedingungen erlaubt. „Etwa 0,4 Prozent der sterbenden Einwohner von Oregon nutzen jährlich die Möglichkeit des assistierten Suizids. Als Hauptgrund für den Wunsch das eigene Leben zu beenden wird nicht etwa Schmerz (24 Prozent), sondern die Angst vor einem Autonomieverlust (93 Prozent) angegeben. Der Todeswunsch ist also nicht in körperlichen Symptomen begründet“, erklärte Dr. Schäfer. „Wenn die Möglichkeit des assistierten Suizids besteht, wird diese auch angenommen“, gibt Dr. Schäfer zu bedenken. In den Niederlanden läge der Anteil aktiver Sterbehilfe und assistierter Suizide unter allen Todesfällen inzwischen bei über fünf Prozent. „Auf die Bevölkerungszahl von Deutschland hochgerechnet wären das ca. 50.000 Todesfälle pro Jahr, die Bevölkerung einer Stadt wie Schweinfurt.“ Die Krux bei allen gesetzlichen Regelungen sei die ärztliche Bescheinigung über die Freiverantwortlichkeit, Ernsthaftigkeit und die Dauerhaftigkeit des Wunsches vorzeitig zu sterben. Selbst wenn ein Arzt seinen Patienten schon seit vielen Jahren sehr gut kenne, sei es fraglich, ob aus einem Zustand des Patienten heraus, in dem es diesem nicht gut gehe, zweifelsfrei eine Freiverantwortlichkeit attestiert werden könne.
Auch der Regionalleiter der BBT-Gruppe und Theologe und Ethiker
Thomas Wigant stellte die Definition von Autonomie, wie sie gerne von
Befürwortern des assistierten Suizids als Argument herangezogen wird, infrage:
„Was bedeutet Autonomie? Letztlich gibt es keine losgelöste, freie
Selbstbestimmung. Autonomie ist relational. Menschen ohne Beziehungen sind
lebensunfähig“. Außerdem warf er die Frage auf, ob Autonomie tatsächlich an ein
ärztliches Gutachten gebunden werden sollte und stellte die Freiheit des
Einzelnen bei einer solchen möglichen Gesetzgebung in Frage. „Die dramatische
und grauenvolle Übergriffigkeit der Definition von „Lebenswert“ wirft auch
heute Fragen auf. Es darf niemals eine Verpflichtung zum sozialverträglichen
Frühableben geben“, betonte Wigant. Außerdem bezog Wigant Stellung zur Haltung
der BBT-Gruppe und ihrer Einrichtungen in dieser Thematik: Die BBT-Gruppe
verstehe sich als ein Teil von Kirche, der sich öffnet und alle Menschen
einschließt, der den Wert des Lebens auch im christlichen Sinne im Blick hat.
„Wir möchten durch gute Versorgung, Betreuung, Pflege, Medizin, Seelsorge und
psychologische Unterstützung verhindern, dass eine Krise den Wunsch nach Suizid
auslöst. Gleichzeitig müssen wir aber aushalten, wenn Menschen für ihr
Lebensende eine Entscheidung treffen, die nicht unserer Haltung entspricht.
Auch diese Menschen werden wir bis zum Ende betreuen und bestmöglich begleiten.
Wir werden kein Angebot zum assistierten Suizid machen und es wird durch unsere
Mitarbeitenden zu keinem Zeitpunkt eine aktive Mitwirkung geben“, bekräftigte
Wigant. Es gehe allerdings darum, die Balance zu finden zwischen Autonomie und
Lebensschutz, wie es jeher in den ethischen Fallbesprechungen gehandhabt werde.
Im Zweifel gelte immer: „In dubio pro vita“. „Unsere Einrichtungen sind
Schutzräume, in denen die Würde des Lebens weiterbestehen kann. Und unsere
Türen stehen auch offen für Menschen, die mit sich und dem Ende Ihres Lebens
ringen“, so Wigant.
Der Leiter des Onkologischen Zentrums Tauberfranken und
leitender Oberarzt der Onkologie Dr. Edgar Hartung hob in der abschließenden
Diskussion die Bedeutung von Suizidprävention durch die niedergelassenen
Ärztinnen und Ärzte, die stationäre Betreuung, die Pflege, die Hospize, die
Psychoonkologie, den Sozialdienst und die Seelsorge hervor. Dr. Schäfer wies
darauf hin, dass sich die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages
nach der gescheiterten Abstimmung über das neue Gesetz zum assistierten Suizid
im Juli 2023 für die Einführung eines Suizidpräventionsgesetzes ausgesprochen
hätten. „Wie es rechtlich nun weitergeht, bleibt offen. Unsere Einrichtungen
werden aber weiterhin Orte sein, in denen sich die Menschen darauf verlassen
dürfen, dass ihr Leben bis zu seinem natürlichen Ende als wertvoll angesehen
wird. Wir schützen Leben, wir treten für das Leben und für ein gutes Ende des
menschlichen Lebens ein“, so Wigant abschließend.
Info: Der BBT-Gruppe Region Tauberfranken-Hohenlohe gehören
drei Krankenhäuser, ambulante Einrichtungen sowie auch zehn Seniorenzentren an.
Mit Blick auf die medizinische Versorgung und Betreuung der Patient*innen und
Bewohner*innen dieser Einrichtungen ist eine Positionierung zum Assistierten
Suizid geboten. Im Jahr 2020 hat das Verfassungsgericht den 2015 in Kraft
getretenen §217 StGB für nichtig erklärt und entschieden, dass es zum allgemeinen
Persönlichkeitsrecht gehöre und Ausdruck der Menschenwürde sei, dass Menschen
auch über das Ende ihres Lebens bestimmen können und dafür die Hilfe Dritter in
Anspruch nehmen dürften. Es solle aber sichergestellt sein, dass der Entschluss
zu einem assistierten Suizid freiverantwortlich, ernsthaft und dauerhaft ist.
Das Gericht machte aber auch deutlich, dass niemand verpflichtet werden kann,
Suizidassistenz zu leisten. Eine Regelung dazu muss der Gesetzgeber noch
aufstellen.