21.11.2019
Beim 10. MS-Tag im Caritas-Krankenhaus zogen die Referenten vor mehr als 350 Besuchern eine Bilanz der Entwicklung bei der Therapie der chronisch-entzündlichen Nervenerkrankung Multiple Sklerose (MS) in den vergangenen zehn Jahren. Ihr Fazit: Die Vielzahl inzwischen zugelassener Medikamente sowohl in Form von Tabletten wie in Form von Injektionen macht heute eine individualisierte Therapie der MS möglich. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Möglichkeiten für die Betroffenen, die Symptome selbst positiv zu beeinflussen
In seinem
Vortrag gab der Chefarzt der Klinik für Neurologie im Caritas-Krankenhaus Privatdozent
Dr. Mathias Buttmann einen Überblick über die seit 2009 neu zugelassenen
Medikamente, deren Wirkweisen, aber auch deren Nebenwirkungen. "Während vor
zehn Jahren fast nur Injektionstherapien über Spritzen und Infusionen möglich
waren, haben wir heute viele Medikamente, die auch als Tablette eingenommen
werden können und somit für die Betroffenen einfacher zu handhaben sind",
erläuterte der Neurologe und national anerkannte MS-Spezialist.
Elf Wirkstoffe zur Therapie zugelassen
Inzwischen seien
insgesamt elf verschiedene Wirkstoffe zugelassen, eine weitere Zulassungsempfehlung
sei zwei Tage zuvor erteilt worden. "Die Wirkstärken der Medikamente
unterscheiden sich", erläuterte Buttmann, "wie es auch bei deren
Verträglichkeit und Sicherheit wichtige Unterschiede gibt". Leider gebe es
bislang kaum einfache Tests, die bei der Entscheidung für oder gegen den Beginn
einer medikamentösen Therapie und bei der Auswahl des geeigneten Präparats
helfen. Bei der individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung seien die Erfahrungen und
der Rat von MS-Experten wichtiger denn je. Buttmanns Empfehlung für die
Betroffenen: "Suchen Sie sich, gerade falls Sie eine aktivere MS haben, eine
Klinik oder einen Neurologen mit viel Erfahrung und Spezialwissen, der Sie bei
der MS-Therapie mit begleitet." Auf diese Weise könne die Vielzahl inzwischen verfügbarer
Medikamente bestmöglich genutzt werden für eine individualisierte Therapie.
Positive Entwicklung beim Thema Schwangerschaft mit MS
Auch für
chronisch voranschreitende Krankheitsverläufe gebe es neue Medikamente, deren
Einsatz allerdings eine besonders sorgfältige Einzelabwägung erfordere. Während
sich die schubförmige MS inzwischen meist sehr gut behandeln lasse, bestehe nämlich
trotz wichtiger Fortschritte gerade bei der chronisch-progredienten MS noch
wichtiger Entwicklungsbedarf. Die derzeit verfügbaren Medikamente kämen nur für
einen Teil der Betroffenen in Betracht. Eine ausgesprochen positive Entwicklung
sieht Buttmann beim Thema Schwangerschaft. "Auch mit einer aktiven MS ist heute
im Gegensatz zu vor zehn Jahren eine Schwangerschaft in spezialisierter
Begleitung für Mutter und Kind risikoarm möglich", so der MS-Experte.
Positiver Effekt von Sport auf MS-Betroffene
Dass jeder
MS-Betroffene auch selbst etwas zu seinem Wohlbefinden beitragen kann, machte
Prof. Dr. Mathias Mäurer, Chefarzt der Klinik für Neurologie im Juliusspital
Würzburg, in seinem Vortrag "Sport und Bewegung bei MS" deutlich. "Schon
leichte körperliche Aktivität hat eine positive Wirkung auf die Lebensqualität
und die Symptomkontrolle und senkt die Sterberate - egal bei welchen
Vorerkrankungen. Dies belegen große Studien", so Prof. Mäurer. Ältere Empfehlungen, sich als MS-Betroffener
zu schonen, seien überholt. "Es gibt inzwischen wissenschaftliche Belege, dass Sport
und körperliche Aktivität positive Effekte auf den Krankheitsverlauf haben. Es
gibt sogar Hinweise, dass bei Menschen mit körperlicher Aktivität möglicherweise
die Schubrate sinkt." Sport sollte daher fester Bestandteil der MS-Therapie
sein. Der Facharzt
für Neurologie und MS-Spezialist empfiehlt eine Kombination aus Ausdauer- und
Krafttraining - abgestimmt auf die individuellen Möglichkeiten. "Die Intensität
sollte etwas anstrengend sein und noch als angenehm empfunden werden." Gut
geeignet seien z.B. Aquasport und Aquatherapie und vor allem Sport in einer
Gruppe, um auch den sozialen Kontakt zu fördern. Er verwies außerdem auf die aktuelle
Studie "ms-BEWEGT", die mithilfe einer speziell entwickelten App MS-Betroffene
bei ihren sportlichen Aktivitäten unterstützen soll. Sein Fazit: "Sport ist ein
Medikament mit hoher Wirkung - eigentlich sollte man es verschreiben".
Naturheilkunde bei MS
Neben Sport
setzen viele Betroffene auf weitere ergänzende Ansätze, um die medikamentöse
MS-Therapie zu unterstützen. Einen Überblick über die Möglichkeiten der
"Naturheilkunde bei MS" gab Prof. Dr. Roman Huber, Leiter des Zentrums für
Naturheilkunde an der Universitätsklinik Freiburg. Durch Studien belegt sei die
Wirksamkeit von Entspannungstraining, das nachweislich die Depressivität und
Müdigkeit bei MS verbessert. "Auch aufmerksamkeitsbasierte Bewegungstherapien
wie Yoga oder Tai Chi haben einen großen Nutzen für Menschen mit MS", so der
Mediziner. Kritischer sieht er die Wirksamkeit von zusätzlichen Vitaminen und
Spurenelementen. "Vitamin D hat wahrscheinlich eher keinen Einfluss auf den
Verlauf und die Symptome einer bestehenden MS." Viele Details seien hier allerdings
noch unklar. "Ein Vitamin D-Mangel sollte bei Patienten mit MS allerdings
vermieden werden, eine Kontrolle des Wertes ist sinnvoll", betonte Prof. Huber.
Für die Vitamine B1, B6, B12 und C sowie
für Omega 3-Fettsäuren sei kein
signifikanter Nutzen bei MS nachgewiesen. Ernährung bei MS sei ein weiteres spannendes
Thema, eine spezielle MS-Diät gebe es jedoch nicht. "Vor allem der enge Zusammenhang zwischen der Darmflora und
dem Immunsystem ist zurzeit ein interessantes Forschungsgebiet und intensiv im
Fokus." Insgesamt biete die Naturheilkunde verschiedene Möglichkeiten, um die
medikamentöse Therapie zu ergänzen und das Allgemeinbefinden zu verbessern.
"Allerdings haben wir keinen Nachweis, dass dadurch die Schubhäufigkeit bei MS
reduziert werden kann", machte er deutlich.
Workshops mit praktischer Anleitung
Viele Aspekte aus den
Vorträgen wurden in der anschließenden Fragerunde mit Neurologen aus dem
Caritas-Krankenhaus sowie den niedergelassenen Neurologen Dr. Jürgen Lang
(Tauberbischofsheim) und Dr. Herbert Hock (Bad Mergentheim) weiter vertieft. An
den zahlreichen Infoständen in der Halle des Caritas-Krankenhauses konnten sich
die Besucher außerdem über verschiedene Hilfsmittel und Beratungsangebote für
Betroffene informieren. Konkrete Anleitung für Bewegungsübungen und
Sturzprophylaxe sowie Hilfe bei Schluckstörungen vermittelten die Therapeuten
in den gut besuchten Workshops.