21.11.2018
Es wurde viel gelacht beim MS-Tag am Samstag, 17.11. im Caritas-Krankenhaus – und dies obwohl oder gerade weil viele Betroffene unter den mehr als 300 Besuchern waren. Denn die Cartoons, die der bekannte Zeichner Phil Hubbe vorstellte, widmeten sich mit viel Humor der Situation von MS-Betroffenen. Darüber hinaus blieb beim MS-Tag viel Zeit für die Auseinandersetzung mit medizinischen Fragen rund um das Thema Multiple Sklerose (MS).
Phil Hubbe,
bekannter Cartoonist aus Magdeburg, erhielt selbst vor rund 30 Jahren die
Diagnose MS. Gegen den Rat seiner damaligen Ärzte machte er das Zeichnen zu
seinem Beruf. Mit bissiger Schärfe, aber immer auch mit wohlmeinendem Humor entlarvt
er in seinen Cartoons den oft scheinheiligen Umgang mit behinderten Menschen im
Alltag und bricht so überholte Vorurteile auf. "Behinderte können auch lachen
und sitzen nicht nur in der Ecke und jammern. Also haben Sie keine Scheu zu
lachen", forderte er die Besucher auf. Und die ließen sich, ob körperlich
eingeschränkt oder nicht, beim Blick auf die satirischen Zeichnungen nicht
lange bitten.
Bild der MS zum Positiven gewandelt
"Das Bild von
MS hat sich zum Positiven gewandelt, meist bedeutet MS heute nicht ein Leben im
Rollstuhl", das betonte Privatdozent Dr. Mathias Buttmann, Chefarzt der Klinik
für Neurologie im Caritas-Krankenhaus. In seinem Vortrag setzte sich der
Neurologe kritisch mit der medikamentösen Therapie der MS auseinander. "Menschen
mit MS sind heute insgesamt nicht mehr so stark eingeschränkt wie noch im Jahr
2006. Während damals nur knapp 35% der MS-Betroffenen berufstätig waren, sind
es heute 57%, und nur noch etwas mehr als jeder Fünfte bezieht eine Erwerbsminderungsrente."
Das liege auch an inzwischen geänderten Diagnosekriterien mit einer nun häufigeren
Erfassung milder Verläufe. "Vor allem haben wir diese Entwicklung meines
Erachtens aber den Erfolgen der Immuntherapie zu verdanken", betonte er. Allerdings
stehe dieser "segensreichen Wirkung" der Immuntherapien ein Risiko für teils
gravierende unerwünschte Nebenwirkungen gegenüber, machte der Neurologe
deutlich, der sich seit vielen Jahren intensiv mit MS beschäftigt.
Individuelles Abwägen von Nutzen und Risiken einer Immuntherapie
Dies erläuterte
er am Beispiel des Wirkstoffs Natalizumab. Weltweit wurden bisher rund 190.000
Betroffene mit einer hoch aktiven MS mit dem Wirkstoff behandelt, meist mit einer
hervorragenden Stabilisierung des Verlaufs, wie auch einige der Betroffenen im
Publikum für sich bestätigten. Mindestens 187 MS-Patienten verstarben allerdings
an einer gefürchteten Nebenwirkung von Natalizumab, der Progressiven
Multifokalen Leukenzephalopathie, kurz PML, einer durch Viren ausgelösten Hirninfektion.
"Ist das Risiko hinnehmbar, schlimmstenfalls an der Therapie einer nicht
tödlichen Erkrankung zu versterben?" Diese Frage stelle sich im Prinzip bei
jeder stark wirksamen Immuntherapie, machte PD Dr. Buttmann deutlich.
Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt zentral wichtig
Von
zentraler Bedeutung sei deshalb ein tragfähiges Vertrauensverhältnis zum
behandelnden Arzt, der das Nutzen-Risiko-Verhältnis realistisch benennt und dabei
auf den Betroffenen sehr individuell eingeht. "Ziel der MS-Therapie ist die
individuell bestmögliche Lebensqualität unter sehr individueller Abwägung von
Nutzen, Risiken und persönlichen Einstellungen", betonte PD Dr. Buttmann. Dies erfordere
viel Zeit im Gespräch, die das Gesundheitssystem derzeit immer weniger vorsehe.
Der Chefarzt appellierte deshalb eindringlich an die Politik, dem Arzt-Patienten-Gespräch
künftig wieder mehr Bedeutung beizumessen und dieses auch finanziell besser zu
honorieren. An alle MS-Betroffenen richtete er die Aufforderung, durch eine
Mitgliedschaft in der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) ihren
Anliegen in der Öffentlichkeit Gewicht zu verleihen.
Realistisches Therapieziel setzen
Der Neurologe
warnte davor, ein vollständiges Fehlen jeglicher Krankheitsaktivität als Ziel
der Immuntherapie anzustreben. "Diese Erwartungshaltung ist meist nicht
realistisch und kann zu teils riskanten therapeutischen Fehlentscheidungen
führen. MS ist eine Erkrankung, die wir mit den heutigen Medikamenten oft gut, meist
aber eben nicht perfekt behandeln können."
Mit Physiotherapie die Lebensqualität verbessern
Ganz ohne Medikamente,
aber sehr wirkungsvoll bei MS ist die gezielte Bewegungs- und Physiotherapie.
Das machte Vibeke Hansen in ihrem mit vielen praktischen Beispielen unterlegten
Vortrag deutlich. Sie stellte unterschiedliche Therapiekonzepte und deren
Grundlagen vor. "Das Therapieziel ist auch hier, die individuelle
Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern", unterstrich Vibeke Hansen.
Zunächst müsse bei jedem Patienten ein Befund erhoben werden, um zu wissen, was
genau trainiert werden muss und wo die individuellen Schwachstellen liegen. Oft
sei eine Kombination aus verschiedenen Therapiekonzepten sinnvoll. "PNF
orientiert sich an den natürlichen Bewegungsabläufen und den dafür notwendigen
Körperdiagonalen. Diese werden gegen den Widerstand des Therapeuten gekräftigt",
so die erfahrene Neuro-Physiotherapeutin. Bei Bobath werde die Bewegung in viele
kleine Komponenten zerlegt, die gezielt über die nonverbalen Impulse des
Therapeuten angeregt werden. Hier stehe das Prinzip "Helfen mit den Händen" im
Vordergrund. Bei Vojta geht man davon aus, dass man über gezielte Handgriffe an
bestimmten Körperregionen Muskelaktivität an anderen entfernten Gebieten im
Körper erreichen kann.
Häufige Wiederholungen des Trainings wichtig
Wichtig sei es
bei allen drei Konzepten, das Bewegungstraining in die Alltagsbewegungen einzubauen
und zu Hause mit vielen Wiederholungen weiter zu trainieren. "Nur über hohe
Wiederholungszahlen werden die Muskeln und die neuronalen Prozesse verändert",
mahnte Vibeke Hansen und verwies auf den "gelernten Nichtgebrauch". "Schon nach
drei Tagen ohne Training ist die Neuronenaktivität rückläufig, die Bewegung ist
schlechter sensorisch präsent und man wird schwächer." Sie appellierte daher an
alle MS-Betroffenen, sich immer wieder neu zu körperlicher Aktivität anzuregen.
Auch gerade nach einem Schub sei es wichtig, sich zu fordern. "Gehen Sie ans
Limit Ihrer Bewegungsmöglichkeiten und haben Sie keine Angst, auch neue
Konzepte auszuprobieren."
Viele Tipps und Informationen für den Alltag mit MS
In den
anschließenden Workshops konnten die Besucher die verschiedenen Konzepte unter
Anleitung von Physiotherapieschülern auch praktisch testen. Auch zu
Blasenstörungen sowie zu Sprech- und Schluckbeschwerden bei MS gab es
hilfreiche Tipps für den Alltag. An den zahlreichen Infoständen in der Halle
des Caritas-Krankenhauses konnten sich die Besucher über viele Aspekte und
Hilfsmittel für Betroffene informieren. In der Fragestunde mit den Neurologen
spiegelte sich ein breites Spektrum der MS wieder. Junge Frauen hatten Fragen
zur Einnahme der Antibaby-Pille oder zu einer möglichen Schwangerschaft bei MS.
Rückenschmerzen, Schmerzen in den Beinen, Inkontinenz und Sehstörungen sowie der
Zusammenhang mit MS waren weitere Fragen, die von PD Dr. Buttmann, Dr. Waldemar
Kafke sowie den niedergelassenen Neurologen Dr. Herbert Hock und Dr. Tilmann
Rossmanith beantwortetet wurden.
Info: Die Ausstellung mit Original-Cartoons
von Phil Hubbe ist im Caritas-Krankenhaus noch bis 2. Dezember zu sehen.