Mehr als 200 Ärzte, Erzieher, Lehrer, Psychologen und Interessierte diskutierten bei der Fachtagung "Sexuelle Gewalt" im Caritas-Krankenhaus über den richtigen Umgang mit betroffenen Kindern.
Initiiert wurde die Veranstaltung gemeinsam von Ärzten der Kinderklinik, dem Jugendamt des Main-Tauber-Kreises und der Kontaktstelle sexuelle Gewalt des Caritasverbands im Tauberkreis.
Die Seele der Kinder nimmt bleibenden Schaden
"Sexueller Missbrauch hat immer etwas mit Machtmissbrauch zu tun und die Opfer sind in der Regel Kinder, die von ihrem Peiniger abhängig sind", machte Prof. Dr. Reiner Buchhorn, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Caritas-Krankenhaus in seiner Begrüßung deutlich. "Die Seele der Kinder nimmt Schaden, der auch im Erwachsenenalter bleibt." Folgen seien etwa ein vielfach erhöhtes Risiko, Angststörungen, Depressionen, Ess-oder Schlafstörungen zu entwickeln. Auch eine erhöhte Suizidgefährdung sei nachgewiesen. Prof. Buchhorn begrüßte daher die Zusammenarbeit der Institutionen im Arbeitskreis gegen sexuelle Gewalt. "Für uns steht im Mittelpunkt, den Opfern zu helfen, nicht so sehr den Täter zu überführen", so der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin.
Kontaktstelle bietet Hilfe für Opfer und Ratsuchende an
Diese Haltung unterstützte auch Elke Hach-Wilimzik, Leiterin der Kontaktstelle gegen sexuelle Gewalt des Caritasverbands im Tauberkreis e.V. "In 95 % der Fälle finden sexuelle Übergriffe im sozialen Umfeld des Mädchens oder des Jungen statt, also im direkten Familien- und Bekanntenkreis", erläuterte sie. Bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch stehe die Kontaktstelle als erste Anlaufstelle für die Beratung von Eltern, Erzieherinnen und Lehrern bereit und vermittle auch therapeutische Angebote.
Körperliche Hinweise auf sexuellen Missbrauch
12.444 Fälle von sexuellem Missbrauch wurden im Jahr 2011 offiziell in der Kriminalstatistik in Deutschland erfasst. "Aufgrund der Nähe von Täter und Opfer müssen wir allerdings von einer hohen Dunkelziffer ausgehen", betonte Dr. Tünde Kerteß-Szlaninka. Die Kinderärztin aus dem Caritas-Krankenhaus engagiert sich ebenfalls im Arbeitskreis gegen sexuelle Gewalt. Sie stellte in ihrem Vortrag die körperlichen und seelischen Befunde aus medizinischer Sicht vor. "Leider gibt es nur wenige körperliche Befunde und keine spezifischen Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern, die eindeutig einen sexuellen Missbrauch beweisen", betonte sie. Misshandlungsverdächtig seien etwa blaue Flecken und Verletzungen am Oberkopf, den Augen, der Mundschleimhaut, den Streckseiten der Unterarme, am Rücken und Gesäß. "Auch Einnässen oder Einkoten nachdem das Kind schon einmal sauber war, Schmerzen und Juckreiz im Genitalbereich oder das Tragen von vielen Kleidungsstücken übereinander können Hinweise auf Missbrauch sein." Die Ärztin erläuterte die Untersuchungsmaßnahmen bei Kindern, um Missbrauch aufzudecken. Dabei sprach sie sich vor allem für eine umfangreiche Dokumentation etwaiger Symptome aus. (Der Vortrag als pdf:
Körperliche und seelische Befunde bei sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen)
Diagnostik und Beweissicherung bei erwachsenen Opfern
Die Diagnostik bei erwachsenen Opfern von sexuellem Missbrauch stellte Dr. Ruth Broermann, Ärztin in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe im Caritas-Krankenhaus dar. Die rechtliche Situation beim Umgang mit erwachsenen Opfern etwa nach einer Vergewaltigung erläuterte Hauptkommissar Bernhard Haag von der Polizeidirektion Tauberbischofsheim. Er verwies auf die Möglichkeit der sog. "anonymen Spurensicherung", bei der vom Arzt mögliche Beweise für eine Vergewaltigung gesichert werden, so dass das Opfer auch später noch über eine Anzeige entscheiden kann.
Umgang mit betroffenen Kindern aus psychologischer Sicht
Ausführlich informierte im Anschluss die Diplom-Psychologin und Gutachterin Carmen Bargel über den richtigen Umgang mit betroffenen Kindern bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch. Am Beispiel der Wormser Kindesmissbrauchs-Prozesse verwies sie zunächst auf die Fehler, die hier bei der Befragung der Kinder gemacht wurden. Im Rahmen dieser Prozesse wurden mehrere vermutlich unschuldige Erwachsene aufgrund von kindlichen Aussagen fälschlich des sexuellen Missbrauchs bezichtigt. An diesem Beispiel zeigte sie außerdem psychologische Phänomene wie die sog. "Quellenverwechslungsfehler", "Falschinformationseffekte" und "Schein-Erinnerungen" auf. "Diese können dazu führen, dass Kinder (oder Erwachsene) glauben, ein nicht erlebtes, aber intensiv besprochenes oder imaginiertes Ereignis tatsächlich erlebt zu haben", so die Fachpsychologin für Rechtspsychologie. (Der Vortrag von Carmen Bargel als pdf:
Kindliche Aussagen zu sexuellem Missbrauch in Strafverfahren)
Warnung vor Suggestivfragen
Ungeeignete Methoden zu Abklärung eines Missbrauchsverdachts sind nach ihrer Darstellung die Aufdeckungsarbeit sowie das Spielen mit anatomischen Puppen oder das Ausdeuten von Kinderzeichnungen. Dringend warnte die Psychologin auch vor voreingenommenen Suggestivfragen.
Geeignete Fragemethoden bei Kindern
Im zweiten Teil ihres Vortrages stellte Carmen Bargel dann Methoden vor, um die Aussagetüchtigkeit und Aussagekompetenz von Kindern unterschiedlichen Alters zu prüfen. Zum Abschluss gab sie ganz konkrete Tipps, wie geeignete Fragen an mögliche Opfer formuliert sein sollten. Ihr Rat. "Stellen Sie immer offene Fragen und fordern Sie zum Erzählen auf." Als Beispiel nannte sie etwa Fragen wie: "Ist etwas passiert, das nicht in Ordnung war?" "Was ist passiert?", "Was geschah dann?", "Wie ging es weiter?" Bei der Anwendung solcher Fragetechniken könne man Fehlerquellen minimieren und die Qualität der Aussagen von betroffenen Kindern erhöhen.
Ansprechpartner bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch: Kontaktstelle gegen sexuelle Gewalt an Kindern, Jugendlichen und Frauen, Caritasverband im Tauberkreis, Tel. 09341 / 922 0 24; E-Mail:
KgsG@caritas-tbb.de
Ansprechpartner bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch:
Kontaktstelle gegen sexuelle Gewalt an Kindern, Jugendlichen und Frauen, Caritasverband im Tauberkreis, Tel. 09341 / 922 0 24; E-Mail: KgsG@caritas-tbb.de
Hier finden Sie die Vorträge der Referenten als pdf:
Dr. Kerteß-Szlaninka:
Körperliche und seelische Befunde bei sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen
Carmen Bargel, Fachpsychologin für Rechtspsychologie:
Kindliche Aussagen zu sexuellem Missbrauch in Strafverfahren
Hier finden Sie
Dokumentationsbögen zur Untersuchung bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch und Kindesmisshandlung.
Quelle: Herrmann, Dettmeyer, Banaschak, Thyen: Kindesmisshandlung. 2. Aufl. Springer-Verlag 2010.